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Mittwoch, 8. Juli 2015

Wie war's bei MÉDÉE im Staatstheater Mainz?

Créon lässt Médée verhaften.   (c) Andreas Etter
           
Wer sich einmal intensiv mit der antiken Figur der Medea, einer durchaus blutrünstigen und grausamen Figur aus der griechischen Mythologie (mit Mördern, Rächern, Menschenfressern etc. pp.)  beschäftigen möchte, der sollte sich auch die Oper in drei Akten MÉDÉE von Luigi Cherubini (1760-1842) mit französischsprachigem Libretto von Francois-Benoît Hoffmann in Verbindung mit der aktuellen Asylantenproblematik unter der Regie von Elisabeth Stöppler im Staatstheater Mainz anschauen. Eine überaus spannende, verfremdende und doch sehr nah an der Mythologie sich bewegende Deutung, die uns auch in der Gegenwart erlebbar vorkommt.

Die Geschichte um Medea beginnt damit, dass sie Jason und den Argonauten, die im Auftrag des Pelias von Iolkos das Goldene Vlies, das Fell des fliegenden Widders, rauben sollen, hilft. Gedacht war die Mission von Pelias, seinen Neffen Jason loszuwerden, da dieser laut Prophezeiung ihn ermorden würde. Da aber Medea ihm hilft, das Vlies im Besitz ihres Vaters des Königs Aietes von Kolchis (an der Ostküste des Schwarzen Meeres) zu stehlen, ihre Familie, den Vater dabei hintergeht und obendrein noch ihren Bruder opfert (sie zerreißt ihn in Stücke und streut die Teile ins Meer, um die Spur für die Soldaten ihres Vaters zu verwischen, was gelingt), kehren alle zu Pelias zurück. Medea will Jason zum Mann, bestraft aber Pelias für seinen Hochmut und seine Hinterlist, indem Sie seinen Töchtern weismacht, dass er zerstückelt im Kessel gegart daraus wieder verjüngt auferstehen könnte. Naiv folgen sie dem Rat. Da sie danach nicht mehr in Iolkos bleiben konnten, flohen Medea und Jason nach Korinth zu König Kreon. Unterwegs gebar sie ihm zwei Söhne. In Korinth angekommen, begehrt Jason nun die Tochter Glauke des Kreon (die bei Cherubini Dircé heißt), will mit seinen Söhnen bleiben und Medea loswerden. Medea ist bereits in der Heimat geächtet und und wird noch einmal von Kreon verstoßen. Sie bereut, dass sie Jason aus Liebe gefolgt ist, ihre Familie verriet und den Bruder opferte. Medea beschließt, sich zu rächen. Sie ermordet Glauke, König Kreon und ihre eigenen Kinder, um Jason, den sie am Leben ließ, kinderlos zu machen. 


Dircés Brautdilemma zwischen dem väterlichen Wunsch
und Médées Schicksal.           (c) Andreas Etter

Die Geschichte ist insgesamt sehr detailreich und wird bei Euripides, Aristoteles, Apollonios Rhodios, Ovid, Seneca, Valerius Flaccus beginnend bis zu der filmischen Interpretation Pier Paolo Pasolinis unterschiedlich ausgelegt.

In der Mainzer Inszenierung von Elisabeth Stöppler beginnt das Spiel mit den Sorgen der Dircé (lebensmüde leidend Dorin Rahardja) im väterlichen Palast des Créon von Korinth (zwischen Cocktailpartylook und korinthischer Tradition Peter Felix Bauer), die vermutet, dass Jason (unheldenhaft umhergetrieben Philippe Do) sich ihr gegenüber ebenso verhalten wird, wie er es bei Médée getan hat, wenn sie mit ihm verheiratet werden würde. Sie ist eindeutig depressiv, hat sich die Pulsadern bereits verletzt, weil sie diesen Mann oder gar die ganze Existenz eigentlich gar nicht will! Ihre Zofen (modern südeuropäische Eleganz) stimmen sie optimistisch und verheißen ihr eine paradiesische Zukunft. Zur Sicherung ihrer Jungfräulichkeit bekommt sie einen Kusskorb übergestülpt. Jason versucht ihr zu erklären, wie verhängnisvoll seine Ehe mit Médée war und dass er wieder glücklich sein möchte.

Das Goldene Vlies als Brautgeschenk wird hier ersetzt durch ein Nashorn, dessen großes Horn für das Vlies steht. Das Zeichen der Macht hier ein phallisches Symbol, das die Macht an Créon und seinen Staat weitergeben soll. Gleichzeitig ist das Horn pulverisiert seit Jahrhunderten ein afrikanisches Potenzmittel, das auch phallische Machtausübung verheißt. Jason arbeitet mit diesem Brautgeschenk, das ganz anderen Zwecken dienen sollte, im Prinzip ja doppelt entwendet wurde, an seiner Zukunft, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Natürlich aus Eigennutz, denn er will potenter Mann und Vater, auch Vize-Herrscher, später gar König sein, und Créon soll sich ebenso durch einen Zauber bestärkt fühlen. Während Créon dem Paar Glück wünscht, der Hofstaat den zärtlichen Hymen herbeiwünscht, das ist einerseits ein Hochzeitsruf  und wohl -gott, andererseits spielt die Bezeichnung auch auf die Zeugung von Nachkommen, Beendigung der Jungfräulichkeit Dircés hin (Hymen = Jungfernhäutchen). Die Söhne Jasons sind bereits anwesend, werden von Créon und Jason jedoch abgelehnt. Sie bleiben allein ein Zeugnis der Potenz des Vaters. Zuwendung scheint kaum möglich.


Als Médée (über Leichen gehende, rachsüchtige und fest entschlossene Dramaqueen Nadja Stefanoff), auftaucht, alles bereut, ihr Land, ihre Untertanen, ihre Familie betrogen zu haben, ihren Bruder geopfert zu haben für einen, der sie verlässt: "Ich habe alles geopfert, gib mir meinen Mann zurück!", fordert sie von Jason. Ein wirkliches Beziehungsdrama - sie fühlt sich betrogen , verraten und verkauft ... Auch er bereut und verdammt den Feldzug wegen des Vlieses, das Blut und die Tränen, aber er will die Mutter seiner Söhne, die er auf der Flucht, um überleben zu können, notheiratete, nicht mehr. Bereits hier schon droht Médée ihm mit einer ewigen Erinnerung an alles. Die Regie schaltet schon zuvor bei Dircés Zweifel noch einen zweiten Handlungsort dazu: Auf einer zweiten Bühne in der Rückwand der Hauptbühne kommentiert ein zweiter Handlungsstrang oder besser ein Geschehen, das vordergründige. Waren es zuvor Créon und Jason abgewandt sowie Médée Dircé zugewandt, taucht hier Créon und seine Tochter in Erwartung der Hochzeit auf.



Néris erkennt den fürchterlichen Plan der Médee.    (c) Andreas Etter

Créon erlebt Médée und erinnert sich an eine Opferszene, wo sie einen Stier schlachtete und Médée von allen Frauen zuerst von seinem aus der Kehle schießenden Blut trank. Er weiß, was in dieser Frau steckt, sucht Schutz vor diesem unmenschlichen Wesen. Er verweist sie des Landes, lässt sie von seiner Garde, die an eine aktuelle Antiterroristeneinheit erinnert, inhaftieren, aber Médée überredet ihn listig zu einer weiteren Tagesfrist, um sich von ihren Kindern verabschieden zu können. Im Gefängnis trifft sie Néris (aufmerksam und wach Geneviève King), die auch aus Kolchis stammt und mit ihr leidet, ihr ewige Treue bis in den Tod schwört und versteht, was Médée vor hat. Diese entwickelt teuflische Pläne, das Spiel einer Puppe wie beim Analytiker (der Zuschauer darf in diese Rolle schlüpfen) verrät alles. Man erinnert sich an die mythologische Urtat, die Zerstückelung des Körpers gleichzeitig auch menschliches Urtrauma, der Verlust der Ganzheit, die Reduktion auf den Rumpf, der gerade beim Medea-Mythos eine mehrfache Rolle spielt. Der Bruder, Pelias und die eigenen Söhne zerstückelt, mit deren Blut das Brautgeschenk getränkt wurde, auch ihr Anschlag auf die Braut in Form eines vergifteten Brautkleides mit tödlicher Folge wird in der "Box" auf halber Höhe der rückwärtigen Wand gezeigt. 


Die Illusion der Sage ist auf der zweiten Bühne zu sehen, realiter lässt Elisabeth Stöppler jedoch etwas anderes passieren. Médée wütet in einem Asylantenlager, wird beobachtet, sie ist wie die anderen zum Verlassen des Landes verurteilt. Médée hat jedoch einiges auf dem Kerbholz, der Diebstahl im Elternhaus, das Beseitigen des Pelias, und noch kein Ende. Also eigentlich ein gerechtfertigtes Aufenthaltsverbot! Aber sie müsste theoretisch irgendwo Asyl beantragen, hätte die Vorsehung nicht schon lange ein Schicksal für sie parat. Hier lässt sich die Frage "Asyl für Kriminelle?" mit herauslesen.

Dass nun Dircé hier auftaucht und in ihrer Depression Suizid begeht (sie schneidet sich selbst die Kehle durch, Médée versucht gar es zu verhindern), weiß nur der Zuschauer und Néris, alle anderen halten es für Mord ... Die Asylanten fliehen aus der Umgebung. Néris wiederum ist in der Lage zu prophezeien, was passiert, weil sie mit Médée zusammen im Gefängnis war. Und während Créon seine tote Tochter findet, hat Médée im Hintergrundgeschehen schon alles vorbereitet, der Mord steht bevor. Bezeichnenderweise geschieht der Mord am Nashornkadaver. Die Kinder Jasons, seine Macht und Potenz werden durch ihre Mutter, die den handelnden Part, die Phallusrolle für kurze Zeit innehat, getötet. Sie steht auch genau da, wo das Horn zuvor war, bevor es von Jason abgesägt wurde.
 Médée ist zwar eine Kindermörderin, aber in metaphorischer Hinsicht die starke, kastrierende Frau, die Ödipus Spielchen abstellen würde. Sie als Frau zu haben, bedeutet Macht zu haben, die sie mit Mafiamethoden verteidigt.


Psychoanalytisch kommt die Tat einer Kastration Jasons und Créons gleich. Und die Verfremdung geht noch weiter in die Gegenwart hinein. Nach dem Erstechen von Jasons Söhnen, seiner Mitgift, bereitet der König dem Treiben ein Ende, auch um seine Tochter zu rächen, aber er verwendet weder Pfeil noch Wurfmesser oder -axt, sondern eine Pistole! Mittendrin im antiken Gegenwartskrimi hallt ein Schuss, und Médée ist tot, nicht in der Mythologie, da geht's noch weiter mit einem neuen Gemahl. Créon überlebt, ebenfalls anders als in der Mythologie, und Jason steht kurz vor einem Selbstmord durch Erschießen. Schicksal mal andersrum, gerechter verteilt? Die Einsicht und unerträglichen Schmerzen eines Vaters? Créon als der Bezwinger Médées und noch ein Stückchen stärker? Er nimmt ihr den Phallus wieder ab.


Zeitenwechsel, Irrtum und grenzenloser Hass mischen sich hier zu einem großen Stück Tragödie. Ein spannender Opernabend mit Raffinesse, der nichts von der Brutalität weglässt, die die historische Medea auszeichnet.


Weitere Termine:

10.07.2015, 14.07.2015